AKKU, das okto-tv-Magazin zum Thema Architektur und Stadt, berichtet über Kontroversen und Kompromisse, über das Offene und das Verschlossene, über Verbote und Aneignungen, über Merkwürdigkeiten und Alltägliches. Immer wieder präsentieren Kunstschaffende ihre Sicht auf die Stadt – aktuelles Beispiel Andrea Seidlings Filmessay aus einer chinesischen Megacity.

Im Herbst 2023 verbrachte die Filmemacherin und Architektin Andrea Seidling einige Wochen als Artist in Residence in Chongqing. Dabei entstand ein sehr persönlicher, filmischer Essay, der unbekannte Bilder eines Dazwischen gewissermaßen nach draußen schmuggelt. Kostbare Fragmente einer ungeschnittenen Realität aus einem Land, das wir China nennen und einer riesigen Großstadt, die wir nicht kennen. Sie zeigen jenen Alltag und jene Details, die uns nachts beim Einschlafen in einem Hotelzimmer nicht aus dem Kopf gehen. Nicht die großen Einstellungen, nicht die inszenierten Zeichen einer Stadtverwaltung. Kostbare Nahaufnahmen aus einer Fremde, Gesichter von Tanzenden, lachende Zugreisende, die uns die Sicht nehmen. Sie zeigen auch Mühe, Erschöpfung, Nebel und dazu jene Ausschnitte löchriger Absperrungen und die Überlagerungen spiegelnder U-Bahnfenster und Glasfassaden, die uns Film und Stadt nicht mehr unterscheiden lassen.

Die filmischen Sequenzen und ihr rauer, dokumentarischer Stil richten den Blick zugleich nach Innen. Der Essay verbirgt bewusst nicht das Rauschen des Mediums/der Kamera und den Atem der Autorin selbst. Wir sehen die Stadt, die Häuser, ihre Menschen und zugleich stehen wir mit der Autorin hinter der Kamera. Spüren die Verlorenheit und die Intimität langer Nahaufnahmen. Die sieben fliegenden Drachen im dunstigen Gegenlicht sind uns dabei Rhythmus und Begleiter. Fremde, vertraute Zeichen.
Chongqing in China ist unbekannterweise die wohl größte Stadt der Welt, mit einer Fläche so groß wie Österreich und rund 32 Millionen Einwohnern. Im 2. Weltkrieg bzw. Chinesisch-Japanischen Krieg hatte sie als Kriegshauptstadt historische Bedeutung, weil sich die chinesische Regierung hierher zurückzog. Nicht zuletzt wegen der geografischen und klimatischen Lage: Mit ihren vielen Nebeltagen bot die Stadt häufig Schutz vor Bombenangriffen. Heute ist Chongqing Hochburg der Autoindustrie. Kein Wunder also, dass das Auto auch das Stadtbild geprägt und mit seinen Straßen und Brücken die hügelige dreidimensionale Topografie flachbetoniert hat. Gefangen in diesem Straßennetz stehen oft unbewohnte Wohntürme, Denkmäler der Immobilenblase. (Text+Bild: Andrea Seidling)
7 Drachen und ein Hund. Nahaufnahmen einer Fremde
Konzept, Kamera, Schnitt, Stimme: Andrea Seidling
Text: Peter A.Krobath, Sounddesign: Brigitte Bauer; Feedback, Support: Milena Krobath, Robert Fabach
Premiere am 7. April 2025 in der IG Architektur (mit Filmgespräch und Respondenz mit Andrea Seidling und Stadtforscher Ian Banerjee, Moderation Peter A.Krobath), weitere Kinoaufführungen sind geplant, danach jedenfalls auf okto.tv als stream.
Abb. Andrea Seidling, Michael Nagl